Martin Auer: Der seltsame Krieg, Geschichten für die Friedenserziehung |
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Also Freunde, ich muss euch etwas erzählen, und ich hoffe ihr glaubt es mir. Und wenn ihr es nicht glaubt, umso schlimmer für euch. Also hört zu: Vor langer, langer Zeit, lebte auf einem kleinen Kontinent hier auf unserer Erde (der Kontinent liegt inzwischen vollkommen unter Wasser, also werdet ihr ihn auf keiner Landkarte finden - und zu der Zeit, als der Kontinent noch da war, waren die Landkarten noch nicht erfunden, darum werdet ihr ihn auch auf den alten Landkarten nicht finden) also, auf diesem kleinen Kontinent (der der siebente gewesen wäre, wenn damals schon jemand Kontinente gezählt hätte, das tat aber keiner, weil noch kein einziger Kontinent entdeckt worden war, so dass alle Leute auf all den Kontinenten dachten, dass ihr Kontinent der einzige Kontinent wäre, und warum sollten sie etwas zählen, von dem es sowieso nur eines gab) - Jedenfalls, was ich sagen wollte, war: auf diesem kleinen Kontinent, der nicht der siebente war und auch nicht der erste, sondern einfach der Kontinent, lebte ein, sagen wir einmal, recht eigenartiges Volk. Diese Leute waren, muss man leider sagen, ziemlich verrückt. Und zwar auf eine ganz besondere Art. Nicht vielleicht, dass sie dumm waren. Keineswegs. Sie hatten zum Beispiel das Rad erfunden, lange bevor es auf irgend einem der anderen Kontinente erfunden worden war. Und gleich nach dem Rad hatten sie das Feuer erfunden und Pyramiden und Mobiltelefone und Fernsehen. Nein, wie gesagt, sie waren auf eine ganz besondere Art verrückt. Wie soll ich es erklären? Also, sagen wir zum Beispiel, dass sie eine Tante zu Besuch hatten. Diese Tante rief vielleicht mit ihrem Mobiltelefon an und sagte: "Hallo, ich komm euch über die Feiertage besuchen, nur ein paar Tage, freut ihr euch nicht, eure alte Tante wiederzusehen?" Und dann packte die Familie, die eigentlich über die Feiertage ans Meer hatte fahren wollen, ihre Sachen wieder aus und stellte das Rad wieder in die Garage und wartete auf die Tante. Nehmen wir an, die Feiertage waren schon längst vorbei und die Tante war jetzt schon sechs Wochen auf Besuch und es sah nicht so aus, dass sie bald heimfahren würde. Und die ganze Familie musste zum Frühstück Tee trinken, weil Tante fest davon überzeugt war, dass Kaffee gesundheitsschädlich ist, und Papa hatte das Rauchen aufgeben müssen, weil Tante den Rauch nicht vertrug, und die Kinder mussten von eins bis vier leise sein weil Tante da ihr Nachmittagsschläfchen hielt. Also diese Leute hätten so eine Tante niemals hinausgeschmissen, ja sie hätten nicht einmal einen Lippenstift genommen und der kleinsten Tochter rote Tupfen ins Gesicht gemalt und gesagt, dass sie Scharlach hätte, damit die Tante davonlief. Nein, diese Leute packten einfach still ihre Sachen, holten das Rad aus der Garage, gaben Tante die Hausschlüssel und lebten fortan in einem Zelt am Strand, wo sie Kaffee trinken und Zigaretten rauchen und zwischen eins und vier herumlärmen konnten bis sie schwarz waren. Oder sagen wir, in einer Schule wurde eine neue Direktorin ernannt und eine der Lehrerinnen regte sich auf und sagte: "Warum haben sie nicht mich zur Direktorin gemacht, ich bin viel besser als sie!" So einer hätten sie nie gesagt: "Na ja, sie hat mehr Erfahrung als du, und außerdem hat sie in den Ferien immer Kurse besucht und die hast dir nur die Fußnägel lackiert." Nein, stattdessen schrieben sie an den Landesschulrat: "Diese Frau macht uns allen Kopfweh mit ihrem Gejammer, bitte ernennen sie sie zur Direktorin, damit sie uns nicht mehr auf die Nerven geht!" Und meistens unterschrieb sogar die Kollegin, die zur Direktorin ernannt worden war, den Brief. Oder wenn ein Bub seine Aufgaben nicht konnte und nur schlechte Noten bekam, dann ließen seine Lehrer ihn nicht sitzen bleiben. Stattdessen sagten sie: "Ach, aber er hat so ein nettes Lächeln und außerdem würden sich seine Freunde kränken, wenn er nicht mehr bei ihnen wäre, also was macht es, wenn seine Rechtschreibung schlecht ist und er die Namen der Kontinente nicht kennt, die ohnehin noch gar nicht entdeckt sind. Ich könnte euch noch viel darüber erzählen, wie verrückt diese Leute waren. Wenn auf einer Kreuzung zwei Räder zusammenstießen, dann blieben die Leute nicht stehen um einander anzuschreien: "Ich hab's gesehen, wie er die Gasse heruntergekommen ist, und er hat sein Rad viel zu schnell gerollt. Bitte, mein Herr, wenn Sie vor Gericht gehen können Sie mich als Zeugen angeben, hier ist mein Name und meine Adresse!" Stattdessen schrien sie nur die Fahrer an: "Wen kümmert das, wer schuld ist, räumt bloß eure verdammten Räder aus dem Weg, damit wir unsere weiterrollen können, der Himmel weiß, warum wir sie überhaupt erfunden haben!" Jeder wird verstehen, dass diese verrückte Einstellung die Leute nicht weiterbrachte. Sie mussten sich immer mit dem Zweitbesten begnügen, im Kino hatten immer alle die schlechtesten Sitze, an der Fleischtheke im Supermarkt kamen sie nie an die Reihe, sie wurden nie Schuldirektorin, sondern leben in Zelten am Strand und ruinierten ihre Gesundheit mit Kaffee und Zigaretten und lärmenden Spielen. Da kam eines Tages ein Zauberer den Kontinent besuchen. Sein Name war: Der Große Belloni, und als er mit seinem fliegenden Teppich auf dem Marktplatz landete, sagte er: "Ich grüße euch, Bewohner dieses Kontinents, ich bin Der Große Belloni, ich habe diesen Kontinent entdeckt, und ich werde ihn nach seinem Entdecker Bellonia nennen." Die Leute waren ein bisschen erstaunt, denn sie hatten immer gedacht sie hätten den Kontinent entdeckt, aber der Zauberer erklärte ihnen, dass man etwas, was man immer schon gekannt hat, nicht entdecken kann. Und die Leute dachten: Na gut, es hätte auch Gulbrannsonia oder Herschkowitzia sein können, da ist Bellonia noch gar nicht so schlimm. Der Zauberer sah sich auf dem Kontinent, den er entdeckt hatte, um, und merkte bald, was mit seinen Bewohnern los war. "Ihr seid kluge Leute", sagte er zu ihnen, "in euch steckt etwas, das habe ich gleich gemerkt. Eigentlich fehlen euch bloß zwei Dinge." Als die Leute wissen wollten, was das für zwei Dinge sein sollten, sagte er: "Tja, das erste sind Wagen." Und er zeigte ihnen, wie sie eine Art hölzerne Kiste an den Rädern befestigen konnten, so dass sie sie dazu benutzen konnten, Dinge von einem Ort zum anderen zu bringen. Die Leute experimentierten eine Weile mit einem Rad oder mit sieben Rädern, aber bald fanden sie heraus, dass die ideale Zahl von Rädern so um die zwei, drei oder vier lag. Von da war es nicht schwer die Sache weiterzutreiben bis zum Automobil, der Dampfmaschine, der Eisenbahn, und dann fand jemand heraus, dass man einen Esel vor den Wagen spannen konnte, was viel weniger Lärm machte als alle die anderen Methoden den Wagen fortzubewegen. "Und was ist das zweite?" fragten sie den Zauberer. "Tja, die zweite Sache, die dem Fortschritt bei euch im Weg steht, ist, dass ihr keinen Sinn für Gerechtigkeit habt." "Was ist denn das?" fragten die Leute. "Ist das so etwas wie die hölzerne Kiste?" "Nein", sagte der Zauberer, "das ist kein Ding, das ist ein Prinzip." "Aha!" sagte die Leute und nickten mit den Köpfen, als ob sie verstanden hätten, aber in Wirklichkeit hatten sie keine Ahnung, was ein Prinzip war. "Es heißt ungefähr, dass man jedem genau das gibt, was ihm gebührt, nicht mehr und nicht weniger." "Aber das tun wir ja!" "Nein. Ihr gebt den Leuten nur, was sie wollen, damit sie aufhören zu quengeln. Und wenn sie nicht quengeln, dann kriegen sie gar nichts." "Na ja, vielleicht wollen sie es nicht genug, um zu quengeln. Jedenfalls, wer weiß besser, was jemand gebührt, als er oder sie selber?" Der Zauberer versuchte es zu erklären, aber nach einer Weile gab er erschöpft auf. "Passt auf", sagte er, "wollt ihr jetzt Gerechtigkeit oder nicht? Es kostet mich nur einen Wink mit meinem Zauberstab, dann wisst ihr, was ich meine und ich erspare mir die Halsschmerztabletten." "Na ja", sagten sie, "wenn es dem Fortschritt dient..." Also wedelte der Zauberer kurz mit seinem Zauberstab, dann stieg er auf seinen fliegenden Teppich und sauste davon, um noch mehr Kontinente zu entdecken, die er zählen und benennen konnte. Er hatte sich schon ganz fantastische Namen ausgedacht wie Bellonia II und Bellonia III, und wollte so schnell wie möglich die passenden Kontinente dafür finden. Sobald der Zauberer seinen Stab geschwungen hatte, merkten die Bellonier - wie sie sich jetzt nannten - sofort, was der Zauberer gemeint hatte und schüttelten die Köpfe, schlugen sich mit der Hand auf die Stirn und sagten: "Wie haben wir nur so verrückt sein können?" Sie packten sofort ihre Zelte zusammen und gingen heim, um ihre Häuser zurückzufordern. Aber Tantchen hatte sich schon so lange dort aufgehalten, dass sie jetzt praktisch dort lebte und sie sagte: "Was fällt euch ein, ihr habt mich vorsätzlich hier zurückgelassen und mir das Haus übergeben. Ich weigere mich strikt, es zu verlassen!" Und endlose Streitereien begannen um Dinge wie "mündlicher Vertrag" und "Gewohnheitsrecht" und so weiter. Als nächstes mussten die Bellonier natürlich ein Gericht haben. Aber sie konnten sich nicht einigen, wer das Recht haben sollte, Recht zu sprechen, und so beschlossen sie, sich jeden Vormittag um zehn zu treffen, um die Fälle zu diskutieren. Der erste Fall war der von zwei Brüdern, deren Vater war gestorben und hatte ihnen nur einen Esel hinterlassen. Jeder von ihnen sagte, dass er den Esel brauchte um seine Sachen zu tragen und den Wagen zu ziehen. Der Fall war leicht zu lösen, fanden die Bellonier. Sie entschieden, dass der Esel in zwei genau gleiche Hälften geschnitten werden und jeder Bruder eine Hälfte bekommen sollte. Die Brüder protestierten und sagten, dass ein halber Esel zu gar nichts gut sei, denn ein halber Esel könne nicht einmal einen halben Wagen ziehen, aber man sagte ihnen, dass die Teilung sehr genau gewesen sei und sie keinen Grund hätten sich zu beklagen. Die Brüder fluchten und verzogen sich. Die nutzlosen Eselshälften ließen sie liegen. Der nächste Fall war schon schwerer zu lösen. Es ging um einen Mann, der sich betrunken und eine Rauferei angefangen hatte. Dabei hatte er dem anderen Mann ein Auge ausgeschlagen. Soweit war das kein Problem. Die Bellonier entschieden, dass das Opfer dem Übeltäter auch ein Auge ausschlagen sollte, und dann sollte jeder dem anderen ein Glasauge kaufen. "Denn das", sagten sie, "ist Gerechtigkeit: Auge um Auge, Zahn um Zahn!" Aber am nächsten Tag wurde der Mann wieder vors Gericht gebracht, weil er sich schon wieder betrunken und einem anderen Mann das Auge ausgeschlagen hatte. "Na und, wo ist das Problem?" sagten welche. "Wir haben gestern einen ganz gleichen Fall verhandelt. Wir können das gleiche Urteil wieder fällen. Auge um Auge!" "Aber er hat ja nur mehr ein Auge!" sagten andere. "Wenn wir sein Auge nehmen, wird er blind sein, aber sein Gegner braucht nur ein Glasauge und kann ein fast normales Leben führen. Jemandem sein einziges Auge nehmen ist nicht dasselbe, wie jemandem ein Auge nehmen, der zwei hat." "Aber irgend etwas müssen wir ihm nehmen", sagten andere, "sonst wird er ewig herumlaufen und anderen Leuten die Augen ausschlagen!" "Schneiden wir ihm halt eine Hand ab!" schlug jemand vor, aber andere widersprachen und sagte, eine Hand sei nicht dasselbe wie ein Auge. "Wir müssen Gerechtigkeit üben", sagte sie, "und ihm nicht einfach bloß irgendwie wehtun. Er muss genau denselben Schmerz erleiden, den er dem anderen zugefügt hat." "Na gut", sagte jemand anderes. "Er hat dem anderen die Hälfte seiner Augen ausgeschlagen. Also nehmen wir ihm auch die Hälfte seiner Augen!" "Aber das geht ja nicht, man kann doch kein halbes Auge ausschlagen. Und sogar wenn es möglich wäre, würde er genau so blind sein." Und so debattierten sie und fanden kein Ende. Und dann, das kann man sich ja denken, wurde der Fall von einer der Tanten vor Gericht gebracht. Diese Tante hatte nun schon viele, viele Jahre im Haus ihres Neffen gelebt. Und da sie sich einsam gefühlt hatte, hatte sie einen ihrer anderen Neffen und seine Frau eingeladen, bei ihr zu wohnen. "Alle unsere Kinder sind hier geboren!" sagte der zweite Neffe, "und ich habe das Haus neu angestrichen und alle Zimmer tapeziert!" "Ja, aber wer hat das Badezimmer installieren lassen?" entgegnete der erste Neffe. "Tapeten, Badezimmer!" sagten die Richter. "Worauf es ankommt ist: Wer hat das Haus gebaut?" "T-ja, es ist ein sehr altes Haus..." sagte der erste Neffe langsam. "Aber ich bin da geboren, also sollte es von Rechts wegen mir gehören!" "Aber du hast es aufgegeben!" "Nein, ich habe es nicht aufgegeben, ich bin durch beständiges Nörgeln vertrieben worden!" "Du hättest die Tante rauswerfen können!" "Hat man je schon davon gehört, eine Tante rauszuwerfen?" "Aber du hast ihr nie gesagt, dass du vorhattest, zurückzukommen!" "Wir haben in einem Zelt gelebt. Das zeigt klar, dass wir vorhatten, ins Haus unserer Väter zurückzukehren!" Hier hob die Tante die Hand: "Wenn ich mich recht erinnere, lieber Neffe, war es mein Vater, der einmal in diesem Haus gelebt hat. Aber dann kam eines Tages seine Tante auf Besuch, die auch Tante deines Vaters war, und sie ging nie mehr weg, also musste mein Vater, um seine Ruhe zu haben, ausziehen und in einem Zelt am Strand leben. Er hat sich mit Kaffee und Zigaretten zugrunde gerichtet, der arme Narr. Von rechts wegen also, denke ich, sollte das Haus mir gehören!" Und dann wurden die alten Dokumente und Familienalben studiert und es gab eine Menge Streit um Tanten und Onkel und Großtanten und Kusinen ersten und zweiten Grades und sogar Patenonkel und Schwippschwager wurden mit hineingezogen. Der Prozess dauerte endlose Wochen, und mit der Zeit wurden die Leute hungrig. Denn wegen der Prozesse hatte niemand Zeit, eine nützliche Arbeit zu tun, und schön langsam gingen den Leuten die Lebensmittel aus. Und dann hatten die zwei Eselshälften, die noch immer auf dem Versammlungsplatz herumlagen, zu stinken begonnen. Niemand hielt sich für verpflichtet, sie wegzuräumen, denn alle waren sich darüber einig, dass dafür die Besitzer verantwortlich waren. Aber die zwei Brüder hatten ein Boot gestohlen und waren aufs Meer hinausgefahren in der Hoffnung, den Zauberer zu finden und ihm genau das zu geben, was ihm gebührte. Die verfaulenden Eselshälften stanken fürchterlich und Millionen von Fliegen hatten sich darauf niedergelassen, und nach kurzer Zeit wurden alle Bellonier krank und starben. Als der Zauberer zurückkam um zu sehen, was aus dem Kontinent geworden war, den er entdeckt hatte, fand er ihn voller Fliegen und sonst fast nichts. Er zuckte die Schultern und schwenkte seinen Zauberstab und der Kontinent versank, damit niemand von dem Misserfolg des Zauberers erfahren sollte. Der Zauberer hatte gehofft, die Fliegen würden mit dem Kontinent untergehen, aber er hatte übersehen, dass Fliegen, nun ja, fliegen können. Die Fliegen waren am Verhungern und noch bevor der Zauberer wegfliegen konnte, erhoben sie sich alle in einer riesigen Wolke und verschlangen ihn. Der führerlose Teppich flog noch ein, zwei Mal um den Erdball, dann fiel er auf einen der anderen Kontinente herunter. Dort fand ihn ein herumziehender Händler und von dem habe ich ihn auf einem Flohmarkt gekauft. Und wenn ihr meine Geschichte nicht glauben wollt - ich kann euch den Teppich zeigen! Kommentar des AutorsDie Inhalte dieser Seiten sind durch registrierte Benutzer selbst veröffentlicht worden. Wenn Sie etwas bemerken, das nach Spam oder Missbrauch aussieht, kontaktieren Sie bitte den Autor. |