Martin Auer: Der seltsame Krieg, Geschichten für die Friedenserziehung

   
 

Arobanai

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Arobanai hob den Kopf aus dem Wasser des Flusses. Vor ihr lag Apa Lelo in der Sonne des Nachmittags. In der Ferne war Donner zu hören, doch der Regen würde erst später kommen. Zeit genug, die Hütten aufzubauen. Auf der grasbewachsenen Lichtung spielten schon Kinder, hier und da lagen Bündel im Gras. Die Männer, die schon früher angekommen waren, hatten sie dort abgelegt, wo sie später ihre Hütten haben wollten, und waren gleich auf die Jagd gegangen. Die Frauen mit den Kindern hatten sich mehr Zeit gelassen bei ihrer Wanderung, weil sie unterwegs noch Pilze und Wurzeln sammeln wollten. Arobanai rieb ihren Körper im Wasser ab. Es war schön ein neues Lager frisch zu betreten, den Staub und Schweiß der Wanderung und aller früheren Lager von sich abzuwaschen. Ein neues Lager war immer ein neuer Anfang, voll neuer Möglichkeiten und Aussichten. Sie schüttelte das Wasser aus ihrem kurzen, krausen Haar und watete zum Ufer zurück. Dann hob sie ihr Bündel hoch über den Kopf und trug es durch den Fluss ans andere Ufer. Sie wusste, wenn sie so die Arme hob, ragten ihre festen Brüste noch angriffslustiger hervor, und das Wasser des Flusses ließ ihren Körper glänzen und all seine Formen noch schöner zur Geltung kommen. Drüben traten gerade die ersten jungen Burschen mit ihrer Jagdbeute aus dem Wald. 

Apa Lelo war der schönste Lagerplatz, den Arobanai kannte. Der Lelo machte hier eine Schlinge, so dass der Lagerplatz nahezu eine Insel war. In der Mitte der Insel standen die Bäume weit auseinander und bildeten eine natürliche Lichtung, trotzdem stießen ihre Kronen weit oben beinahe aneinander, so dass der Platz hell war, aber doch nie im prallen Sonnenlicht lag. Ungefähr in der Mitte der Insel teilte eine Baumgruppe den Platz in zwei annähernd gleiche Hälften. Die Kinder hatten schon ihren Spielplatz unter den Bäumen am Ufer in Besitz genommen, etwas entfernt von dem Platz, wo die Hütten stehen würden, aber doch in sicherer Nähe.

Arobanai suchte das Bündel ihres Vaters Ekianga. Ihre Mutter war noch nicht angekommen, und so schnürte sie als erstes das Blätterpäckchen auf, in dem sie ein glühendes Scheit hierher gebracht hatte. Sie legte ein paar dürre Stöckchen darauf, blies auf die Glut, und die Flammen griffen nach den Ästchen. 

Nach und nach trafen immer mehr Menschen ein. Einige Männer brachten Fleisch und brachen wieder auf, um Stöcke und Blätter zu schneiden. Die Frauen fachten Feuer an und begannen zu kochen. Fast alle hatten Pilze und Wurzeln gesammelt - die Kinder schleppten sie armvollweise an - und in den Kürbisschalen wurde daraus jetzt eine Soße gekocht, in die Fleischstückchen geworfen wurden.

Wenn die Männer mit Stöcken und großen Bündeln der breiten Mongongo-Blätter ankamen, begannen die Frauen die Hütten zu bauen. Sie stießen die Stöcke kreisförmig in den Boden, dann banden sie mit Lianen die Spitzen zu einer Kuppel zusammen. In das Gerüst wurden dünnere Zweige geflochten, und in dem Geflecht die breiten, herzförmigen Blätter befestigt. Immer noch kamen Wanderer an, die später aufgebrochen waren oder sich unterwegs mit der Suche nach irgendwelchen Delikatessen aufgehalten hatten, und die Frauen, die schon an ihren Hütten bauten, lachten und riefen ihnen zu, wie nass sie werden würden, denn die Regenwolken kamen immer näher.

Aber die Männer, die ihre Frauen mit Baumaterial versorgt hatten, liefen wieder in den Wald und schnitten Holz und Blätter für die Spätankömmlinge. Verwandte und Freunde bauten ihre Hütten nahe beieinander. Familien, die nicht gut aufeinander zu sprechen waren, ließen sich an entgegengesetzten Enden des Lagers nieder, und wenn das nicht möglich war, legten sie ihre Hütten so an, dass die Eingänge von einander abgewandt waren. 

Die Gewitterwolken brachten einen frühen Abend, die Feuer wurden in die Hütten gebracht, und immer wieder einmal musste die Lage eines Blattes korrigiert werden, wo ein kleiner Wasserstrahl in die Hütte drang. Doch der Regen dauerte nicht lange, die Feuer brannten bald wieder vor den Hütten, die Frauen brachten noch einige Verbesserungen an den Dächern an und die Männer schlenderten noch einmal mit Pfeil und Bogen in den Wald, um vielleicht noch einen Vogel oder einen Affen zu erwischen, bevor es zu dunkel war. Die Hütten dampften, und blauer Rauch lag über dem Lager, der sich plötzlich orange und gold und rot färbte, als sich die Wolken teilten und die Sonne noch rasch einen letzten Strahl über den Himmel schoss.

Arobanai lag in der Hütte ihrer Eltern auf dem Rücken und hielt ihren kleinen Bruder an einem Ärmchen fest, während sie den Kichernden mit den Beinen hochhob. Aus den Hütten rundum hörte man die Familien schläfrig miteinander plaudern, und gelegentlich gab ein ungebetener Zuhörer seinen  deftigen Kommentar ab, der einen Ausbruch von Gelächter zur Folge hatte. 

Eine der Nachbarhütten hatte sich Kenge gebaut, ein noch unverheirateter junger Jäger. Bei ihm drängte sich ein Großteil der jungen Burschen. Arobanai hörte, wie sie einander erzählten, welche Tiere sie von diesem Camp aus jagen und mit welchen Mädchen sie hier schäkern wollten. Als sie Kelemoke ihren Namen nennen hörte, rief sie hinüber: "Du hast mir zu krumme Beine. Werd erst einmal ein Jäger, du kleiner Bub du!" Dröhnendes Gelächter antwortete ihr, die Jungs drüben schlugen sich auf Brust und Schenkel und wälzten sich hilflos vor Lachen herum. Kelemoke war einer der flinksten Läufer und hatte immerhin schon allein einen Büffel erlegt.

Ekianga, ohne zu rufen, sagte nur laut, aber so, dass man es fünf Hütten weit hören konnte: "Mit diesem ganzen unnützen Geschrei kriegt man ja Kopfweh. Es sollte endlich einmal Ruhe sein, damit man hier schlafen kann!"

Das brachte die Burschen drüben immerhin dazu, sich aufs Flüstern zu verlegen, und nur gelegentlich hörte man sie kichern und prusten. Arobanai lächelte. Dieses Lager würde ein gutes Lager werden, sie fühlte es. Sie würde viel Spaß haben hier.

Am Morgen aber herrschte Trauer. Ein langgezogener, schrecklicher Schrei weckte Arobanai, die grauenhafte Klage eines Wesens, das in absolute Finsternis gefallen ist. Alle stürzten aus ihren Hütten. Balekimito, eine Tante von Arobanais Vater Ekianga, die Mutter von Amabosu und Manyalibo, war tot, ganz tot. Die alte Frau, von allen geachtete vielfache Großmutter, war schon vor dem Aufbruch ins neue Lager krank gewesen. Ihre Söhne Amabosu und Manyalibo wollten sie nicht zurücklassen, sie wären bei ihr geblieben, bis es ihr besser gegangen wäre, doch die Jagd war schlecht gewesen im alten Lager, und Balekimito hatte darauf bestanden, den Umzug mitzumachen. Doch die Wanderung hatte sie geschwächt, und nun war sie ganz tot und würde bald tot für immer sein. In ihrer Hütte drängten sich ihre Verwandten, ihre Söhne liefen  tränenverschmiert auf und ab, ihre Tochter Asofalinda versuchte ihre Brüder zu trösten, brach aber immer wieder weinend neben dem Lager der Alten zusammen. Nur Balekimito selber war ruhig inmitten der stöhnenden, weinenden Menge. Sie griff nach den Händen ihrer Söhne, zog ihre Tochter zu sich heran und flüsterte: "Ich bin bei meinen Kindern. Ich bin nicht allein beim Sterben. Es ist gut."

Mit ihren immer noch wachen Augen schaute sie in der Hütte herum und erblickte ihre Großnichte Arobanai. Sie winkte sie mit ihrer Hand, die durchsichtig war wie ein dürres Blatt, zu sich. "Du bist hübsch geworden" flüsterte sie. "Hast du dir schon einen Liebsten ausgesucht?". Sie kicherte, und hielt Arobanais Handgelenk umklammert. Arobanai hockte starr neben dem Lager der Alten. Balekimito schlief ein, doch ihr Griff lockerte sich nicht. Das Mädchen blieb hocken. Die Männer und Frauen unterdrückten ihre Klageschreie, um den Schlaf der alten Frau nicht zu stören. Als die Sonne hoch über dem Lager stand, hörte Balekimito auf zu atmen. 

Nun gab es keinen Grund mehr, sich zurückzuhalten. Asofalinda hatte plötzlich ein Bastseil in den Händen und legte sich eine Schlinge um den Hals. Drei Männer mussten sie daran hindern, sich ein Leid anzutun. Kinder drängten in die Hütte und liefen wieder hinaus, warfen sich zu Boden und schlugen in hilflosem Zorn auf die Erde ein. Der uralte Tungana und seine Frau Bonyo hockten vor ihrer Hütte und die Tränen liefen ihnen über die verwelkten Gesichter. Arobanai hockte immer noch erstarrt inmitten des Heulens und Klagens, und das Heulen und Klagen würde nie mehr enden, denn Balekimito würde nie mehr aufwachen. Sie war tot, nicht nur einfach tot, sie war tot für immer, und würde immer so liegen und ihr Handgelenk halten. 

Erst als Arobanais Mutter Kamaikam herantrat und sanft die Finger der Toten aufbog, konnte auch Arobanai in Tränen ausbrechen, sich auf dem Boden wälzen und ihren Kummer und Schrecken hinausweinen.

Erst am Abend beruhigte sich das Lager langsam. Vom Kummer erschöpft hockten und lagen alle vor oder in ihren Hütten. Da trat der alte Moke in die Mitte des Lagers und fing ganz leise zu reden an. Man rückte näher, um ihn zu hören, und er sagte mit seiner ruhigen, melodischen Stimme: "Das ist nicht gut, dass alle herumsitzen und traurig sind. Die Feuer brennen herunter und niemand kocht essen. Morgen werden alle hungrig sein und zu schwach und zu müde für die Jagd. Sie, die uns allen eine gute Mutter war, ist gut gestorben. Alle sollten froh sein, dass sie so lange gelebt hat und dass sie einen so guten Tod gehabt hat."

Allgemeines Nicken antwortete ihm.

Manyalibo sagte: "Ja, es stimmt. Alle sollen froh sein. Dieses ganze Jammern führt zu nichts, es soll aufhören. Wir sollten ein Fest machen. Wir sollten den Molimo rufen und ein Fest für den Molimo abhalten."

Und Njobo, der große Jäger, der allein einen Elefanten getötet hatte, sagte: "Ja, ihr Tod ist eine große Sache, und wir sollten ein großes Fest abhalten. Wir sollten feiern, bis der Mond einmal oder zweimal voll gewesen ist, oder sogar dreimal!"

Am nächsten Tag gingen zwei Burschen mit einem Lianenlasso von Hütte zu Hütte. Sie warfen die Schlinge in die Hütte und warteten. Die Bewohner der Hütte legten ein paar Bananen in die Schlinge, Wurzeln oder auch ein Stück getrocknetes Fleisch. Die Burschen taten, als ob sie die Spende einfangen und um sie kämpfen mussten, dann gingen sie weiter zur nächsten Hütte. In der Mitte des Lagers hing bald ein gut gefüllter Korb an einer Stange neben dem Molimo-Feuer. 

Währen des Tages taten die Burschen sehr geheimnisvoll wegen des Molimo. Frauen durften den Molimo nicht sehen. Die Burschen deuteten an, dass der Molimo gefährlich sei, das große Tier des Waldes, und nur Männer mit ihm fertig werden konnten. Arobanai, die mit ihren Freundinnen das Innere aus Baumrinden schälte, um daraus Bast zu gewinnen, wollte ärgerlich auffahren, aber eine Tante griff nur ruhig nach ihrem Arm, lächelte ein wenig und schüttelte den Kopf. Am Abend, nach dem Essen, verzogen sich die Frauen mit den Kindern hastig in ihre Hütten. Die Alten Männer, die Jäger und die Burschen versammelten sich ums Feuer und begannen zu singen.

Arobanai spielte mit ihrem kleinen Bruder. Draußen sangen die Männer. Als Arobanai schon einschlafen wollte, gab ihr Kamaikam einen kleinen Stoß. Im Schein der glühenden Scheiter konnte Arobanai sehen, dass ihre Mutter lächelte und mit dem Kopf nach draußen deutete. Sie lauschte. Die Männer sangen, und leise, dass sie es nicht hören sollten, summte Kamaikam mit:

"Um uns ist Dunkelheit, große Dunkelheit.

Dunkelheit ist um uns, große, schwarze Dunkelheit.

Aber wenn es Dunkelheit gibt,

dann ist die Dunkelheit gut.

Dunkelheit ist um uns, große schwarze Dunkelheit,

aber wenn es Dunkelheit gibt,

und die Dunkelheit zum Wald gehört,

dann ist die Dunkelheit gut."

Jede Nacht sangen die Männer die Lieder des Molimo. Und die Frauen verzogen sich in ihre Hütten und taten, als ginge sie das alles nichts an. Wenn die Männer sangen, antwortete ihnen das große Tier des Waldes. Es rief mit der Stimme des Büffels, mit der Stimme der Antilope, mit der Stimme des Elefanten. Es rief mit Vogelstimmen und mit Leoparden- und Affenstimmen. Und dann aber wieder, dann sang und summte es die Lieder der Männer am Feuer, die Männer sangen, und das große Tier des Waldes antworte ihnen. Es sang bald näher, bald ferner, bald aus Norden und bald aus Süden. 

Bis in den frühen Morgen sangen die Männer manchmal. Jeder Mann musste teilnehmen, jeder Mann musste die Nacht mit Singen und Essen, Essen und Singen verbringen. Wenn einer schlief, so hieß es, würde das Große  Tier des Waldes ihn fressen.

"Die brauchen nicht so reden!" sagte Akidinimba mürrisch, als sie mit Arobanai und anderen Mädchen beim Beerenpflücken war. "ich weiß doch, was es ist. Es ist ein großes Rohr, ein Rohr aus Bambus, da blasen sie hinein und rufen und singen. Gestern war es Ausu, der mit dem Rohr im Wald herumgelaufen ist."

"Er hat eine schöne Stimme!" sagte Arobanai.

"Man redet nicht darüber!" sagte Kidaya. "Frauen reden nicht darüber!"

Aber nachts, wenn die Männer sangen, lächelte Kamaikam und summte die Lieder mit, und Tante Asofalinda erzählte: "Einmal, vor Zeiten, hat der Molimo den Frauen gehört. Die Frauen haben die Lieder gesungen und sind mit dem Molimo durch den Wald gelaufen. Der Wald ist gut zu uns und gibt acht auf seine Kinder. Darum singen wir Lieder für ihn, damit der Wald fröhlich wird. Doch manchmal schläft der Wald, dann können böse Dinge passieren. Dann wecken wir den Wald, dann holen wir den Molimo, damit der Wald aufwacht und seine Kinder nicht vergisst im Traum."

"Und warum laufen die Männer jetzt mit dem Molimo?"

"Ach, die Männer. Sie wollen immer alles besser wissen. Sie sagen, sie sind die großen Jäger, sie wissen, wie man mit den Tieren des Waldes fertig wird."

Und Kamaikam lächelte geheimnisvoll und sagte, Arobanai sollte warten.

In der fünften Nacht des Molimo kam Kelemoke zu ihr in die Hütte. Arobanai war grenzenlos verblüfft. "Wenn du nicht mit den Männern singst, wird das Große Tier des Waldes dich fressen!" sagte sie und stieß ihn mit dem Finger in die Seite.

Kelemoke lachte leise. "Warum soll es mich fressen? Deine Mutter und Tante schlafen, dein Vater singt, welche bessere Zeit gibt es für die Liebe? Warum soll mich das Tier des Waldes fressen, wenn wir tun, was alle tun?"

Jede zweite oder dritte Nacht fand Kelemoke Gelegenheit, sich vom Kumamolimo fortzustehlen. Arobanai schlich sich aus der Hütte und sie trafen sich meist auf dem Bopi, dem Spielplatz der Kinder. Dort kicherten und flüsterten sie und spielten das Spiel der Liebe. Es war umso aufregender, als es verboten war. Ein Junge und ein Mädchen aus derselben Jagdgruppe konnten nicht heiraten. Arobanai wusste auch, wen sie heiraten wollten, Tumba, einen Jungen, der mit der Gruppe von Abira und Motu jagte. Aber warum sollte sie sich in der Zwischenzeit nicht mit Kelemoke vergnügen, dem stärksten Jäger unter den jungen Burschen, der schon längst eine Frau haben könnte, wenn er nicht warten müsste, bis auch eine seiner näheren weiblichen Verwandten heiratsfähig war und, wenn ein Mädchen aus einer anderen Gruppe zu ihm kommen würde, im Austausch einen Mann aus der Gruppe des Mädchen heiraten würde. Würden die Jäger nicht ihre "Schwestern" austauschen, könnte es sein, dass eine Gruppe einmal ohne Frauen dastünde. Kein Mädchen hätte zu Kelemoke nein gesagt, aber sie, Arobanai, war die schönste, darum hatte er sie erwählt. Keine hatte so schöne Brüste wie sie und so schlanke Beine und so runde Hinterbacken. Wenn der Mond sie mit dem Blut segnen würde, dann war immer noch Zeit zum Heiraten. 

Der nächste Tag brachte erregte Debatten und Geschimpfe. Sefu war eingetroffen, der alte Unruhestifter. Es war ja nicht so, dass man ihn nicht mochte, den listigen Witzbold. Aber warum musste er ein eigenes Lager aufschlagen, gerade einmal fünfzig Schritte vom großen Lager entfernt? Fünf Familien waren es, als deren Anführer er sich fühlte. Wie wollten denn fünf Familien eine Jagd organisieren? "Es wird wieder so sein, wie das letzte Mal", sagte Asofalinda, die Schwester von Ekianga: "Wenn er etwas braucht, dann ist er einer von unserem Lager, und wenn er etwas hat, dann ist er 'nur zufällig hier in der Nähe'". Sie machte Sefus weinerliche Sprechweise nach. Als sich das Lachen gelegt hatte, sagte Masisi, der mit Sefu verwandt war: "Es ist gut, viele Jäger zu haben und viele Netze". "Ja, und viele Fresser!" sagte Asofalinda.

Asofalinda sollte Recht behalten. Sefu gab nur selten etwas für den Kumamolimo, den Essenskorb, der jeden Tag gefüllt werden musste. "Es ist nicht mein Molimo", sagte er am Tag. Aber wenn er etwas gegeben hatte, oder vielmehr, wenn jemand aus seinem Lager etwas gegeben hatte, dann kam Sefu und verschlang große Mengen. Wenn er sich satt gegessen hatte, sang er ein bisschen und nutzte die nächste Gelegenheit, wieder in seine Hütte zu verschwinden. "Wenn er sich nicht benimmt", drohten die jungen Burschen, "werden wir ihn in seiner Hütte aufsuchen, und wenn wir ihn schlafend finden, werden wir ihn mit unseren Speeren am Boden festnageln und dann, wenn er für immer tot ist, unter dem Molimo-Feuer vergraben. Seiner Frau werden wir sagen, das Tier des Waldes hat ihn gefressen, und dann wird niemand mehr von ihm reden!"

Aber natürlich blieb es bei den Drohungen, und Sefu sagte: "Warum soll ich nicht schlafen, wenn ich müde bin? Niemand wird so ein Tier sein, einen müden Mann am Schlafen zu hindern. Außerdem ist dieser Molimo nicht mein Molimo. Ich komme nur aus Freundschaft, um dem Molimo Ehre zu erweisen, und man bedroht mich mit Speeren!" 

Freilich, am Morgen wurde er oft vom Molimo gerügt. Denn der Morgen war die Zeit, wo der Molimo ins Lager kam. Dicht von Burschen umgeben, so dass man ihn nicht sehen konnte, kam der Molimo. Die Burschen rannten und tobten mit ihm zwischen den Hütten, und wer sich am Vortag in irgend einer Weise schlecht benommen hatte, bekam eins aufs Dach. Die Burschen schlugen mit ihren Speeren auf die Hüttendächer und rüttelten an den Wänden. Sefus Hütte bekam oft etwas ab, aber auch Paare, die lauten Streit gehabt hatten, Jäger, die zu oft der Jagd ferngeblieben waren, Mädchen, die zu offensichtlich mit ihnen verwandten Burschen geflirtet hatten, wurden so getadelt. Der Molimo kannte keinen Respekt, wer von ihm getadelt wurde, musste es hinnehmen.

Die Tage in Apa Lelo waren fröhliche Tage. Arobanai ging oft mit auf die Jagd. Meist wurde am Abend schon besprochen, wo am nächsten Morgen gejagt werden sollte. Die Männer und Burschen berichteten von den Fährten, die sie gesehen hatten, und wogen die Aussichten, hier oder dort Wild zu finden, gegeneinander ab. Die Frauen gaben ebenfalls ihre Meinung ab, vor allem in Hinblick auf die Waldfrüchte, die sie vor und nach der Jagd sammeln wollten. Die ersten Burschen brachen bald nach Sonnenaufgang mit ihren Netzen und Speeren und einem glühenden Scheit auf, um das Jagdfeuer zu entzünden. Das Feuer war das größte Geschenk des Waldes, und man musste dem Wald das Feuer zurückgeben. Dann war der Wald freundlich gestimmt und schenkte seinen Kindern gute Jagdbeute. Wenn das Jagdfeuer brannte, trafen auch die anderen Jäger ein, auch die Frauen und Kinder kamen in den Wald, suchten nach Pilzen und Beeren und gingen bestimmten Lianen nach, bis sie zu deren Wurzeln kamen, die süß und schmackhaft waren. 

Eines Morgens, als die Jäger versammelt waren, fehlte Sefu. Er war wohl vom Lager aufgebrochen, doch am Jagdfeuer war er nicht vorbeigekommen. Man schüttelte den Kopf, und jemand meinte, vielleicht hatte Sefu ein eigenes Jagdfeuer angezündet. Nein, schrien alle, nicht einmal Sefu macht so etwas. Als man am Ort eintraf, wo man zum ersten Mal die Netze ausspannen wollte, war Sefu schon da, hatte sich ein Feuerchen gemacht und aß geröstete Waldbananen. Ekianga und ein paar andere Männer machten einen kurzen Erkundungsgang und gaben dann Anweisungen, in welcher Richtung die Netze ausgespannt werden sollten. Die Frauen nahmen ihre Bündel und gingen mit den Kindern voraus. Alle hörten auf zu plaudern und zu plappern, kaum hörbar glitten sie durch den Wald. Die Männer schwärmten ebenfalls aus, jeder wusste genau, wo er sein Netz, das mehr als hundert große Schritte lang war, auszuspannen hatte, so dass alle zusammen einen großen Halbkreis bilden würden. Als Ekianga mit dem Ruf des Kuduvogels das Zeichen gab, stürmten die Frauen und Kinder mit Geschrei und Gejohle in breiter Linie durch den Wald. Arobanai scheuchte ein Sondu auf. Die Antilope sprang erschreckt aus einem Gebüsch. "Sie wird in Kelemokes Netz laufen", rief sie erfreut Kidaya zu, die neben ihr rannte.

Als sie bei den Jägern angelangt waren, hatte Kelemoke schon begonnen, die Antilope zu erlegen. Seine Mutter packte schon die besten Stücke in ihren Korb. Um die beiden drängten sich die anderen Frauen: "Mein Mann hat dir seinen Speer geliehen!" - "Wir haben deinen Schwestern Leber geschenkt, als sie hungrig waren und euer Vater nicht da war!" - "Mein Vater und deiner haben immer miteinander gejagt!" schrien sie. Kelemoke genoss seine Rolle und teilte mit großer Geste das Fleisch an die Frauen aus, ohne sich um ihre Beteuerungen zu scheren. Er wusste schon, wem etwas zustand.

Sefu kam daher und jammerte, dass er kein Glück gehabt hatte. Aber niemand bot ihm einen Anteil an. Er wandte sich an die Frauen: "Ihr treibt das Wild absichtlich weg von meinem Netz. Warum treibt ihr es nicht auch zu mir her?"

"He, du hast eigenes Weibervolk, beschwer dich bei denen!"

"Ach die, die sind bloß faule Dummköpfe."

Die Frauen lachten ihn aus und zuckten die Achseln. 

Kelemoke hatte Arobanais Mutter ein besonders schönes Stück aus der Keule gegeben. Arobanai ging schon einmal mit dem Korb, der gefüllt war mit Fleisch und Nüssen zurück ins Lager. Sie wollte wiederkommen, wenn die Jäger das dritte Mal die Netze ausspannten. Sie ging mit Kidaya, die sie nach Kelemoke ausfragte, aber Arobanai beschränkte sich darauf zu lachen und Anspielungen zu machen. Unterwegs trafen sie den alten Moke, der eine Leopardenspur gesehen hatte. Im Lager erzählten sie den anderen Mädchen und Frauen von der Leopardenspur. "Die Männer werden einen Schreck kriegen, wenn sie die sehen!" riefen sie kichernd. Arobanai bückte sich und machte das Schleichen eines Leoparden nach. Die anderen Frauen bildeten eine Reihe, als ob sie die Jäger wären, die im Gänsemarsch durch den Wald zogen. Der Leopard sprang auf sie los, und die Jäger flüchteten kreischen in die Bäume. 

Nachdem sie sich halb tot gelacht hatten, wollte Arobanai wieder in den Wald zu den Jägern zurückkehren. Doch die Männer kamen früher von der Jagd zurück als erwartet, mürrisch und niedergeschlagen. Keiner wollte sagen, was geschehen war, nur Kelemoke sagte muffig: "Dieser Sefu, er macht einfach zu viel Lärm!" Und Kenge sagte, "Bisher haben wir ihn immer als Mann behandelt, aber er ist ein Tier, und wir sollten ihn wie ein Tier behandeln." Und er schrie zu Sefus Lager hinüber: "Tier, Tier!", obwohl Sefu noch gar nicht da war.

Der kam erst später mit einer Gruppe älterer Jäger. Ohne zu jemandem ein Wort zu sagen, ging er hinüber in sein Lager. 

Ekianga und Manyalibo, die zuletzt gekommen waren, hockten sich ans Molimo-Feuer. "Dieser Sefu hat uns allen Schande gemacht!" sagte Ekianga, an niemanden besonders gerichtet. Und Manyalibo sagte: "Sefu hat dem Kumamolimo Schande gemacht. Wir werden den Kumamolimo abbrechen. Das Molimofest wird zu Ende sein. Am besten gehen wir in ein neues Lager."

"Alle sollen herkommen", sagte Ekianga, "alle sollen zum Kumamolimo kommen. Das ist eine ernste Sache, das muss jetzt gleich geregelt werden!"

Man versammelte sich, saß auf Hockern aus vier zusammengebunden Ästen oder auf Scheitern, und Kenge schrie wieder hinüber: "He du Tier, komm her, Tier!" Die Jungen lachten, aber die Männer schenkten ihm keine Beachtung.

Sefu schlenderte herüber, bemüht, ganz unschuldig dreinzuschauen. Er sah sich um, aber keiner bot ihm einen Sitzplatz an. Er ging zu Amabosu, einem der jüngsten Burschen, und rüttelte an seinem Hocker. "Tiere liegen auf dem Boden!" sagte Amabosu.

Sefu war den Tränen nahe: "Ich bin ein alter Jäger und ein guter Jäger. Es ist nicht recht, dass alle mich wie ein Tier behandeln".

Schließlich sagte Masisi Amabosu, er solle aufstehen und Sefu seinen Hocker überlassen.

Dann stand Manyalibo auf begann eine lange Rede: "Jeder will, dass dieses Lager ein gutes Lager ist. Und jeder will, dass dieses Molimofest ein gutes Molimofest ist. Aber Sefu verdirbt alles. Das Lager ist kein gutes Lager mehr und das Fest ist kein gutes Fest. Als seine Tochter gestorben ist, hat er es gerne angenommen, dass wir für ihn unseren Molimo geholt haben. Aber jetzt, wo seine Mutter gestorben ist, will er nichts für den Kumamolimo beitragen."

"Sie war nicht meine Mutter"sagte Sefu trotzig.

"Nicht deine Mutter?" schrie Ekianga, "sie war die Mutter von uns allen hier im Lager. Ich hoffe, dass du auf deinen Speer fallen und sterben wirst wie ein Tier! Ein Mensch stiehlt nicht Fleisch von seinen Brüdern, nur ein Tier macht so etwas!" Ekianga schüttelte zornig seine Faust.

Sefu brach in Tränen aus. Jetzt erst erfuhr Arobanai, was geschehen war. Beim zweiten Jagdzug hatte Sefu sein Netz vor den Netzen der anderen aufgebaut, und so das erste Wild abgefangen, das die Treiberinnen aufgescheucht hatten. Aber er war erwischt worden. Jetzt redete er sich heraus, dass es nur ein Missverständnis gewesen sei, er hätte die anderen Jäger aus den Augen verloren und nicht mehr gefunden. Nur darum hätte er sein Netz dort aufgebaut, wo er eben gerade war.

"Ja, ja" sagte der alte Moke, "das glauben wir ja. Du sollst nicht soviel Lärm machen. Unsere Mutter, die gestorben ist, ist nicht deine Mutter. Also gehörst du ja nicht zu uns. Du kannst dein Netz aufstellen, wo du willst und jagen, wo du willst und dein Lager aufschlagen, wo du willst. Wir werden weit weggehen und unser Lager woanders aufschlagen, damit wir dich nicht stören."

Da musste sich Sefu geschlagen geben. Mit seiner Gruppe von vier Familien konnte er keine Treibjagd organisieren. Er entschuldigte sich und sagte, es sei wirklich nur ein Versehen gewesen, aber er würde ja alles Fleisch zurückgeben.

"Dann ist es ja gut!" sagte Kenge, und stand sofort auf, und die anderen standen auch auf und begleiteten Sefu zu seinem Lager. Dort sagte er schroff zu seiner Frau, sie sollte das Fleisch hergeben, und die jungen Leute fielen über die Hütten her und suchten nach Fleisch, das unterm Dach versteckt war. Sogar die Kochtöpfe wurden ausgeleert. Sefu versuchte zu weinen, aber alle lachten ihn aus. Er hielt sich den Bauch und krümmte sich: "Ich werde sterben vor Hunger, und meine Familie auch, alle meine Verwandten werden sterben, weil meine Brüder mir alles Essen wegnehmen. Ich werde sterben, weil niemand mir die Achtung gibt, die ich verdiene."

Man ließ ihn jammern und kehrte zum Kumamolimo zurück. Das Fest war wieder ein Fest, und alle sangen und tanzten und aßen. Von Ferne hörte man Sefus Gejammer. Die Frauen riefen ihm Spottwörter hinüber und machten sein Jammern nach. Aber als alle gegessen hatten, füllte Masisi einen Topf mit Fleisch und Pilzsoße, die seine Frau gekocht hatte, und verdrückte sich. Kurze Zeit später hörte das Jammern auf.

Nachts, als Arobanai aus ihrer Hütte schlich, um sich mit Kelemoke zu treffen, sah sie Sefu mit den Männern am Molimofeuer sitzen und singen. Ein Kind des Waldes wie alle anderen.

Arobanai hatte es schon oft erlebt. Man zankte, man beklagte sich, man drohte einander. Aber die Kinder des Waldes brauchten einander. Allein, ohne die anderen, konnte niemand existieren. Darum fand sich immer eine Lösung, ein Ausweg. Wer eine Klage hatte, trat in die Mitte des Lagers und begann zu lamentieren, zu fluchen oder bombastisch seinen Rechtsstandpunkt darzulegen. Aber oft genug wandten die um Beistand angerufenen Lagermitglieder sich nicht gegen den, der im Unrecht war, sondern gegen den, der den größten Lärm machte. Ein gutes Lager war ein friedliches Lager. Ein lautes, zerstrittenes Lager war auch ein hungriges Lager. Oft entschied schon ein lautes, allgemeines Lachen einen Streitfall. Aber wenn man jemand beschämt hatte, versöhnte man ihn auch wieder.

Arobanai erinnerte sich daran, wie Tante Kondabate mit ihrem Mann Streit gehabt hatte. Im Zorn hatte sie angefangen, Blätter vom Dach ihrer Hütte zu reißen. Das war ihr gutes Recht, schließlich hatte sie die Hütte auch gebaut. Ihr Mann hatte nur wortlos zugeschaut. Da hatte sie weitere Blätter von der Hütte genommen. Jetzt hätte ihr Mann eingreifen müssen, sie versöhnen müssen. Denn wenn die Frau die Hütte abriss, war das das Ende der Gemeinschaft. Doch Kondabates Mann hatte nichts gesagt, und so hatte sie weiter Blatt um Blatt von der Hütte genommen. Die Tränen waren ihr schon heruntergerollt, doch der Mann war hart geblieben. Nach einer Weile hatte er nur gesagt: "Kondabate wird es heute Nacht ziemlich kalt haben". Da musste sie weiter die Hütte abdecken, was blieb ihr übrig, denn beschämen lassen wollte sie sich nicht. Schließlich gab es keine Blätter mehr, und sie begann, unter Tränen, an den Stangen zu rütteln. Jetzt schauten schon alle gebannt zu, denn wenn sie die letzte Stange aus dem Boden gerissen hätte, hätte sie ihr Bündel schnüren und ins Lager ihrer Eltern zurückkehren müssen. Auch Kondabates Mann war den Tränen nahe, denn er liebte sie sehr, und wollte gewiss keine Scheidung. Doch hätte er jetzt nachgegeben, hätte er noch tagelang das Gelächter seiner spottlustigen Freunde ertragen müssen. Jeder konnte sehen, wie es in seinem Kopf arbeitete. Schließlich sagte er ruhig: "Die Stangen brauchst du nicht abzubauen, nur die Blätter sind schmutzig!"

"Aii?" schrie Kondabate erstaunt. Doch dann begriff sie und sagte erleichtert: "Ja, diese Blätter sind voller Ungeziefer." Und gemeinsam gingen die beiden zum Fluss, um die Blätter zu waschen. Dann hängten sie sie wieder auf die Hütte. 

Nie zuvor hatte jemand Blätter gewaschen. Doch Kamaikam, Arobanais Mutter nahm ein paar Blätter vom Dach ihrer Hütte, murmelte: "Dieses Ungeziefer ist wirklich lästig!" und ging ebenfalls zum Fluss, Blätter waschen, als ob das so üblich wäre. Und noch einige Tage gingen die Frauen zum Fluss, und wuschen, ihr Schmunzeln verbergend, ein paar verlauste Blätter ab.

Die Tage flossen leicht dahin wie der Lelo-Fluss. Der Wald schenkte seinen Kindern Nüsse und Wurzeln, Beeren und Früchte, Pilze und Fleisch. Die Burschen prahlten mit ihrem Jagdglück und schäkerten mit den Mädchen, die Alten grasten die nähere Umgebung des Lagers ab, aber meistens saßen sie im Schatten und sprachen von längst vergangenen Taten. Die Kinder spielten am Fluss, kletterten in Gruppen auf junge Bäume, bis diese schwankten und sich zum Wasser bogen. Dann sprangen sie ab, und wer nicht schnell genug war, wurde vom zurückschnellenden Baum ordentlich durchgeschüttelt. Die Männer machten für die kleinen Jungen kleine Bogen mit stumpfen Pfeilen, und dann spielten die kleinen Mädchen und Jungen Treibjagd mit einem müden, abgeklärten Frosch. Die Frauen zeigten den Mädchen, wie man eine kleine Hütte baute, und dann kochte das kleine Mädchen voll ernst ihrem jungen Freund ein Essen aus Matsch und Nüssen, und dann gingen sie in die Hütte und spielten Kindermachen, wie sie es bei den Großen gesehen hatten. In ihren Spielen erprobten sie alles, was sie als Große einst können mussten, und unmerklich würde aus dem Spiel Ernst werden. Die Kinder nannten alle Erwachsenen Vater oder Mutter, jeden Alten Großvater oder Großmutter, und immer fand sich jemand, der sich als Büffel von ihnen jagen ließ oder als Leopard sie aus dem Hinterhalt ansprang und mit viel Gekitzel und Gelächter auffraß. 

Doch die Stange mit dem stets gefüllten Essenskorb neben dem Feuer in der Mitte des Lagers erinnerte jeden Tag daran, dass ein großes Fest im Gange war, dass der Wald selbst angerufen worden war, sich seiner Kinder zu erinnern und mit ihnen fröhlich zu sein.

In diesen Tagen wurde Kidaya mit dem Blut gesegnet. Stolz teilte sie das ihren Freundinnen mit. Und nur wenige Tage später war es auch bei Arobanai so weit. Nun würde es zusätzlich zum Molimo noch ein Elima-Fest geben. Tante Kondabate baute an ihre Hütte noch eine zweite Kuppel an. Da hinein zogen die Mädchen nun mit ihren Freundinnen. Von Kondabate lernten sie hier neue Lieder, Lieder, die nur die Frauen sangen.

Gäste kamen an. ein altes Paar, das sonst bei einer Jagdgruppe im Norden lebte, wie es hieß. Sie kehrten zuerst bei Sefu ein, wo der Mann Verwandte hatte. Dann kamen sie ins Hauptlager. Der alte Moke begrüßte sie ehrfurchtsvoll. Die alte Frau ging gleich in Kondabates Hütte. Auch Kondabate begrüßte sie mit großer Ehrerbietung. Die Mädchen betrachteten sie scheu. Die Alte hockte sich hin und sang und übte mit den Mädchen. Doch sie sang nicht die Lieder der Frauen, die Lieder des Elima, sie sang die Lieder des Molimo, die nur den Männer vorbehalten waren. Die Mädchen erschraken, doch Kondabate nickte ernst und begann, die Lieder mitzusingen. Scheu stimmten die Mädchen ein.

An diesem Abend hingen nicht ein, sondern vier mit Essen gefüllte Körbe am Kumamolimo. Manyalibo holte von jeder Hütte ein brennendes Scheit für das Molimofeuer. Die Männer und Burschen waren erregt und nervös, als sie zu singen begannen. Da kamen die Mädchen aus der Elimahütte, von der Alten geführt. Die Alte nahm Scheiter vom Molimofeuer und entzündete ein zweites Feuer neben dem ersten. Um das gruppierten sich die Frauen. Die Mädchen, die sich mit der Farbe der schwarzen Gardenia bemalt hatten, tanzten in langer Reihe, und die Frauen sangen immer lauter, immer kräftiger die Lieder des Molimo. An diesem Abend führten die Frauen den Gesang an und die Männer sangen mit. Die Alte aus dem Norden saß an dem Feuer, das sie entfacht hatte, und schaute mit unbewegtem Blick in die Flammen. Ihr gegenüber saß Kondabate, die schöne Kondabate. Wie vom Blick der Alten gebannt starrte auch sie regungslos in die Flammen.  Dann begann die Alte langsam mit den Händen zu tanzen. Ihre dürren, ausgetrockneten Finger spreizten und krümmten sich, ihre knochigen Arme zuckten und schlugen in alle Richtungen, als ob sie nicht zu ihr gehörten. Dann aber erhob sie sich, und begann zu tanzen. Sie tanzte um das Feuer der Männer, während die Männer sangen, ohne sie anzuschauen. Immer heftiger wurde der Gesang, immer heftiger ihr Tanz. Sie sprang in die Glut und tanzte in der Glut, dann begann sie, mit ihren Füßen das Feuer auseinander zu reißen. Mit wilden Tritten stieß sie glühende Scheiter nach allen Richtungen, und die Männer mussten sehen, wie sie ihnen auswichen. Der alte Moke erhob sich, und trug das Feuer wieder zusammen, doch von neuem riss die Alte es auseinander. Dreimal erinnerte sie so die Männer daran, dass die Frauen es waren, die das Feuer gezähmt und gehütet hatten, dass es an den Frauen lag, ob das Feuer ausging oder weiterbrannte, ob das Leben endete oder weiterging. Dann ergriff die Alte ein Lianenseil und legte es nacheinander in Schlingen den Männern um den Hals. Wer die Schlinge um den Hals hatte, verstummte, und als der letzte Mann gebunden war, war das Singen verebbt. Eine Weile herrschte Stille, in der nur die Stimme des Waldes zu hören war. Dann sagte der alte Moke: "Es ist wahr, wir sind gebunden. Wir sind gebunden und können nichts tun. Wir müssen etwas geben, um wieder frei zu werden." Ekianga sagte: "Wir geben das Fleisch einer Antilope, um wieder frei zu werden." Manyalibo sagte: "Geben wir auch das Fell einer Zibetkatze". Die Männer stimmten zu. Da löste die Alte die Schlingen, und wer frei war, begann wieder zu singen. 

Am nächsten Morgen waren die Alte und ihr Mann verschwunden. 

Andere Besucher kamen. Burschen aus Gruppen, deren Jagdgründe viele Tagereisen entfernt lagen. Die Nachricht vom Elimafest war schnell gereist. Überall wo Jäger im Wald auf Jäger anderer Gruppen trafen, wurde erzählt, getratscht, wurden Nachrichten über Verwandte eingeholt, das Jagdglück besprochen, Heldentaten großer Jäger zu noch größeren Taten aufgebauscht. 

Die Burschen schlossen sich den Jägern von Apa Lelo an. Die meisten von ihnen hatten Tanten und Onkel oder entferntere Verwandte in der Gruppe, bei denen sie unterschlüpften, oder sie hingen in den Hütten der Junggesellen herum. Ihr Ziel war es, abends in die Elimahütte einzudringen. Doch die Mütter der Mädchen bewachten die Hütte und warfen mit Steinen und brennenden Scheitern nach den Belagerern.

Manchmal brachen die Mädchen aus, mit weißem Lehm bemalt und mit langen, geflochtenen Peitschen bewaffnet. Sie stürmten durchs Lager, und wer ihnen gefiel, nach dem schlugen sie mit ihren Peitschen. Manchmal schlugen sie auch erwachsene und alte Männer, doch das war Spaß, ein freundlicher Tribut an ihre Männlichkeit. Doch wenn sie einen heiratsfähigen Jüngling schlugen, bedeutete das eine Verpflichtung. Der Getroffene musste das Mädchen, das ihn geschlagen hatte, in der Elimahütte besuchen. 

Tumba, den Arobanai sich im Stillen auserwählt hatte, ließ sich in Apa Lelo nicht blicken. Da beschlossen Arobanai und ihre Gefährtinnen, einen Ausfall zu machen. An einem frühen Morgen brachen sie auf, Brüste und Hinterteile mit weißen Mustern verziert, und liefen nach Westen, Antilopen- und Elefantenpfaden folgend, liefen mit langen, lautlosen Schritten, bis sie am späten Nachmittag das Lager erreichten, in dem sich Tumbas Gruppe aufhielt. Mit Geschrei fielen sie über das schläfrige Lager her, jagten die Männer um die Hütten. Die Männer  und Burschen verteidigten sich, wie sie konnten, stürzten zu den Abfallhaufen hinter den Hütten und warfen, was sie in die Hände kriegten, nach den hitzigen Mädchen. Endlich erspähte Arobanai ihren Auserwählten. Der benützte seinen Bogen, um trockene Bananenschalen nach den Mädchen zu schießen. Doch gegen die neun wilden Streiterinnen musste er unterliegen. Arobanai schonte ihn nicht. 

Am fünften Tag kam er endlich in die Elimahütte. Er lieferte den Müttern einen mannhaften Kampf, um einzudringen, doch als es ihm gelungen war, hatte er seine Pflicht getan. Er hätte sich nun Arobanai widmen können oder auch wieder gehen, oder ein anderes Mädchen erwählen. Und das tat der Kerl auch. Er schäkerte mit Kidaya, und als es Nacht wurde, konnte Arobanai nur zu gut hören, was die beiden miteinander trieben. Da entschloss sie sich, Aberi zu erhören, der schon sich schon am ersten Tag den Weg in die Elimahütte erkämpft hatte, und ihr seither mit allen Mitteln zu gefallen suchte. Sie würde mit ihm tun, was Tumba und Kidaya miteinander taten, und wenn es ihr gefiel, würde sie ihn bitten, ihren Eltern eine Antilope zu jagen, und in seiner Gruppe eine Schwester zu finden, die einen ihrer Brüder heiraten wollte. Und wenn es ihr nicht gefiel - es waren noch mehr schöne Burschen da draußen, große Jäger, die damit prahlten, dass sie den Eltern ihrer Braut nicht eine, sondern zwei Antilopen, was heißt Antilopen, einen Elefanten oder vielleicht auch zwei bringen würden. Das Leben war schön. Der Wald sorgte für seine Söhne und Töchter, er schenkte ihnen nicht nur Fleisch und Früchte zum Essen und klares Wasser zum Trinken, er schenkte ihnen das Feuer und er schenkte ihnen die Freuden der Liebe.

"Um uns ist Dunkelheit" flüsterte Arobanai,

"doch wenn es Dunkelheit gibt,

ist die Dunkelheit gut."

Dann legte sie sich zu Aberi auf seine Matte und begann ihn zu kitzeln. Er kicherte und griff nach ihr.


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